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Waghalters Musik: Die Verteidigung des Melodizismus
Dies waren nach Jahrzehnten des Vergessens die ersten Anzeichen für ein neu erwachendes Interesse an Waghalters Musik. Manches deutet darauf hin, dass sich das musikalische und geistige Klima zugunsten der Komponisten wandelt, die eine eher lyrische Sprache pflegten. Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte in Komposition und Musikkritik Jahrzehnte lang eine anti-melodische Ästhetik vor, deren Hauptvertreter der einflussreiche deutsche Theoretiker Theodor Adorno war. Seine autoritative Schrift „Philosophie der neuen Musik“ (1949) verurteilte das Melodische als illegitim, banal und dem ernsten musikalischen Ausdruck nicht angemessen. Nur die Musik verdiene Beachtung, die der Illusion des Schönen abschwöre. Aufgabe der Musik und der Kunst überhaupt sei es, der völligen Hoffnungslosigkeit der Menschheit Ausdruck zu verleihen. Ziel der modernen Musik, so Adorno, müsse das absolute Vergessen sein. Sie sei die bleibende Botschaft der Verzweiflung der Gescheiterten.
Diese von Demoralisierung geprägte Ablehnung des Melodischen wird heute endlich kritisch hinterfragt. Doch die neuen, tastenden Bemühungen um seine Wiedergeburt stoßen auf große kulturelle und auch technische Hindernisse. Nach mehr als fünfzig Jahren der Verachtung und Vernachlässigung lassen sich die Kunst und Fähigkeit des melodischen Ausdrucks wesentlicher emotionaler Wahrheiten nicht ohne weiteres wieder beleben. Vor diesem Hintergrund gewinnt Waghalters Musik eine besondere Bedeutung. Die Schönheit seiner Kompositionen, die Kopf und Herz gleichermaßen in ihren Bann zieht, spricht den Zuhörer direkt an.
Waghalters musikalische Herkunft geht auf der einen Seite der polnisch-deutschen Grenze über seinen Mentor Joachim auf Brahms und Schumann zurück. Auf der anderen Seite dieser Grenze wurde Waghalters Musikerpersönlichkeit von dem Erbe Chopins, Dvoraks und, noch weiter nach Osten hin, Tschaikowskys geprägt. Darüber hinaus lassen insbesondere seine frühesten Werke den Einfluss jüdischer liturgischer Themen erkennen. Doch unabhängig von den Quellen seiner Inspiration besaß Ignatz Waghalter eine wahrhaft herausragende melodische Begabung. Er blieb seiner musikalischen Stimme treu und verlieh seinem Werk gerade dadurch künstlerische und emotionale Authentizität. Jahrzehnte lang mag es den Anschein gehabt haben, dass Waghalter der alten Schule des ausgesprochen Melodischen angehörte, die der aufgewühlten Welt, die aus der Asche und den Umwälzungen zweier Weltkriege hervorgegangen war, wenig zu sagen habe. Man kann sich kaum einen Musiker vorstellen, dessen Werk den Maximen Adornos so radikal widerspricht, wie Ignatz Waghalter. Allein dies ist ein Grund, Waghalter neu zu würdigen als Vertreter einer musikalischen Ästhetik, die allzu lange verloren gegangen war.
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